Kann man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verändern?
Es regt sich schüchterner Widerstand. Einigen Mitarbeiter*innen beim ÖRR scheinen die Meinungskorridore nun doch zu eng, die Vorgaben aus den Redaktionen zu rigoros, die Gehälter der Chefetage zu hoch. Deshalb haben ca 150, hauptsächlich Freischaffende, ein Manifest unterzeichnet, ca 30 von ihnen anonym.
Natürlich wird gleich hämisch auf die relativ kleine Anzahl der Unterzeichner*innen hingewiesen und natürlich weist die Chefetage jede Form von Konformitätsdruck weit von sich. Angeblich wird in allen Redaktionen offen und kontrovers diskutiert. Nun ja.
Ich habe 35 Jahre lang als sogenannter freier Drehbuchautor für den ÖRR und seine Tochterfirmen gearbeitet und, so frei war ich gar nicht. Im fiktionalen Bereich gab seit der Einführung des Privatfernsehens, spätestens aber seit 2001 (9/11) strikte Vorgaben, was Figurenzeichnung und Handlung angeht. Charaktere, die als „unsympathisch“ oder „düster“ abgestempelt wurden, waren tabu - das waren so ziemlich alle, die man als realistisch hätte bezeichnen können. Wobei klar ist, dass wir uns sowohl im fiktionalen als auch im dokumentarischen Bereich der Realität immer nur annähern können. Aber die Realitätsverweigerung beim ÖRR entwickelte genau solche grotesken Züge, wie ich sie in meiner Satire „Das Albtraumschiff – Odyssee eines Drehbuchautors“ verewigt habe.
Man hatte zunehmend das Gefühl, die Redaktionen verschanzten sich in Wagenburgen hinter ihrer Gutmenschenmentalität und glaubten, mit dem was sie unter Vorbildfiguren verstanden, die raue Wirklichkeit verändern zu können. Das, was man recherchiert hatte, wurde immer als erstes gestrichen. Argumente: „Das ist zu dunkel. Das will keiner sehen.“ Die Krönung: „Selbst wenn das so ist, will ich das nicht sehen.“ Und dann war die Realität leider häufig zu komplex, zu kryptisch. Aber auch das ließ sich leicht ändern: „Das muss einfacher werden. Der dumme 20 Uhr 15 Zuschauer versteht das nicht.“
Und natürlich stand über allem das Totschlagargument der Quote. Die Ästhetik im deutschen Fernsehen reduzierte sich auf einen Satz: „Was Quote macht ist gut, was keine Quote macht ist schlecht.“
Als Alibi leistete man sich hie und da ein paar sogenannte „künstlerisch wertvolle“ Produktionen, die dann tatsächlich keiner sehen wollte. Nur allzu oft verkam dort die Kunst zur reinen Kunstbehauptung.
In dieser Zeit war ich an einer einzigen Produktion beteiligt, bei der wir inhaltlich einigermaßen freie Hand hatten. Interessanterweise war der Auftraggeber eine Dokumentarfilmabteilung. Dort galt damals noch der Grundsatz: „Wenn ihr das so recherchiert habt, könnt ihr das so machen.“ Und siehe da, es wurde ein international preisgekröntes Werk.
Insofern dachte ich lange Zeit, wenigstens in den dokumentarischen Redaktionen, den Politmagazinen und bei den Nachrichten werde einigermaßen faktenorientiert gearbeitet - eine Illusion, die sich spätestens in der Coronakrise und bei der Berichterstattung über den Ukrainekrieg auflöste.
Für mich als Drehbuchautor ist interessant, dass offensichtlich die strikten Vorgaben, die es beim fiktionalen Fernsehen schon lange gab, irgendwann auf den Nachrichtenteil übergriffen. Es scheint fast so, als hätte man die Verblödung im fiktionalen Bereich vorbereitet, um sie anschließend auf den Nachrichtenbereich auszudehnen. Aber das ist natürlich nur eine abstruse Verschwörungstheorie.
Und natürlich gab es auch zu meiner Zeit unter den Kolleg*innen, die Fernsehfilme und Serien machten, kritische Stimmen, die Veränderungen anmahnten und Arbeitskreise gründeten. Und genauso wie jetzt gab es damals viele, die Angst hatten, ihre Existenz zu verlieren, falls sie sich öffentlich dazu äußern sollten. Standardsatz: „Ich habe Familie.“
Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Öffentlich-rechtliche Sender in einem Rechtsstaat verfahren so rigoros mit ihren Mitarbeitern, dass die Angst haben, öffentlich und unter Klarnamen Kritik zu üben. Und das wird über Gebührenpflicht finanziert!
Auch ich war an zahlreichen Diskussionen über mögliche „Verbesserungen“ beteiligt und ich kann den jetzigen Akteuren nur zurufen: „Das ist völlig sinnlos!“
Die Einzigen, die an dieser vollkommen desolaten Situation etwas ändern könnten, sind die Gebührenzahler*innen. Erst wenn die sich organisieren und sagen, wir sind bereit, für eine öffentlich-rechtliche Berichterstattung und einige Politmagazine die Summe X im Monat zu bezahlen, alles andere (Sport, Unterhaltung, Fiction) soll auf Streamingplattformen und kann dort freiwillig gegen Gebühr abgerufen werden, erst dann wird es ganz schnell tiefgreifende Reformen geben.
Wer darauf wartet, dass dieses System sich freiwillig reformiert, wird weiterhin damit leben müssen, dass für ein Programm, das sehr viele Menschen definitiv nicht mehr sehen wollen, acht bis zehn Milliarden im Jahr ausgegeben werden und sich nur marginal etwas ändert.
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