Im Zuge der Proteste gegen die Coronamaßnahmen ist von führenden Politikern jetzt mehrmals ein „unglaublicher Hass auf die Eliten“ ausgemacht worden.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Sicherheitsmaßnahmen von einem überwältigenden Teil der Bevölkerung, übrigens auch von mir, als notwendig erachtet und mitgetragen werden. Die Proteste, die es mittlerweile gegen manche Einschränkungen gibt, sind bei der Kinderbetreuung oder dem Schulbetrieb nachvollziehbar, es ist mit gesundem Menschenverstand aber keinem der beteiligten Politiker in diesem Fall eine ehrliche Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung abzusprechen. Dass die Proteste gegen diese Einschränkungen jetzt in Verbindung mit einem „Hass auf Eliten“ gebracht werden, scheint auf den ersten Blick absurd, bei genauerem Hinsehen bedenklich und gefährlich.
Man muss die Frage stellen, wie es dazu kommt, dass sich ein kleiner Teil der Bevölkerung zur „Elite“ erklärt und vom anderen Teil der Begriff hasserfüllt als Schimpfwort verwendet wird. Das kann nur in einer Gesellschaft geschehen, in der sich ein Teil dünkelhaft und arrogant über den restlichen Teil erhebt, sich in der Rolle einer selbsternannten Geldaristokratie wohlfühlt und das mit einem exorbitanten Reichtum zur Schau stellt, von dem der andere Teil zurecht glaubt, dass er nicht durch Arbeit, sondern durch Spekulation und Erbschaft erworben ist.
Hätten Adenauer, Brandt, Schmidt sich jemals als Elite bezeichnet? Wohl kaum. Menschen mit wahrer Größe haben es nicht nötig, ihre Überlegenheit exzessiv zur Schau zu stellen, sie üben sich in Bescheidenheit und vergessen nie, dass sie ihre Vorteile einer gesamten Gesellschaft zu verdanken haben. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass dieses Bewusstsein bei den Bessergestellten weitgehend verloren gegangen ist. Das Interesse an einer differenzierten Zeichnung sozial schlechter gestellten Figuren ist zumindest im fiktionalen Teil des deutschen Fernsehens seit vielen Jahren gleich null, es wurde unter dem Schmähwort „Sozialdrama“ begraben. Stattdessen suhlen sich die Sender in den immer gleichen flachen Geschichten im Klein- und Großbürgermilieu, aber es gelingt den Redaktionen und Kreativen nicht einmal, das Milieu, dem sie selbst entstammen, spannend und ambivalent zu zeichnen. Diese Feststellung führt zum Kern des Problems: Die selbsternannten Eliten sind keine Eliten, und das trifft leider nicht nur auf die deutsche Medienlandschaft zu.
Man kann in einem Land, dessen Umwelt kollabiert, dessen Energieversorgung nicht gesichert ist, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr auseinanderklafft und das sich im Zuge der Coronakrise längst in einer Finanzkrise befindet, nicht von einer guten, verantwortungsvollen Politik sprechen, wobei man fairerweise zugestehen muss, dass all diese Probleme national längst nicht mehr gelöst werden können. Die Fehler der Vergangenheit, zum Beispiel eine hemmungslose, undurchdachte, allein auf schnellen Gewinn ausgerichtete Globalisierung, holen uns jetzt auf das Grausamste ein.
Die wahren Eliten in diesem Land sind im Augenblick die Forscher*innen, die Krankenschwestern, Pfleger, Lehrerinnen und Lehrer. Beherrscht und regiert wird das Land seit Jahrzehnten von skrupellosen Lobbyisten und den dahinterstehenden Konzernen, die längst international agieren und sich so zum Beispiel jeder nationalen Steuerpolitik entziehen. Die Forderung von Wolfgang Schäuble, die Politik muss das Sagen haben, ist nicht mehr als ein frommer Wunsch, und das weiß Schäuble auch. Wir befinden uns an einer gefährlichen Schwelle. Das Vertrauen ist wegen zahlloser Lügen und Scheinwahrheiten weitestgehend verspielt. Sollte uns infolge von Corona eine schwere internationale Finanzkrise überrollen, wäre es verschwunden.
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