Veteranentag – Persönliche Begegnungen
- Christoph Fromm
- 14. Juni
- 2 Min. Lesezeit

Während heute sicherlich die üblichen Jahrestagsreden geschwungen werden, möchte ich an dieser Stelle an jene Kriegsveteranen erinnern, die ich persönlich kennengelernt habe. Es war Ende der Sechzigerjahre, mein erstes Jahr auf dem Gymnasium. Ich war zehn Jahre alt. Gegenüber von unserer Schule gab es eine Kaschemme, sie hieß „Kanone“. Dort versammelten sich die Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die nicht ins bürgerliche Leben zurückgefunden hatten. Alte, verwahrloste Männer, die meistens bereits mittags schwer betrunken waren. Einige humpelten auf Krücken, andere pöbelten uns hinterher und führten wirre Tänze vor uns auf. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter panische Angst vor ihnen hatte, uns Kinder erschreckten und faszinierten sie.
Sie kamen aus einer völlig fremden Welt, beinahe wie Außerirdische. Ihnen schien alles egal, außer Alkohol und Zigaretten. Als wir uns einige Jahre später trauten, das erste Bier in der „Kanone“ zu trinken, begrüßten sie uns mit Sprüchen wie: „1944 lagen wir beide in der Scheiße. Du in den Windeln, ich an der Front.“ Dass wir dafür eigentlich mindestens zehn Jahre zu jung waren, interessierte sie wenig, Logik war nicht ihre Stärke. Ihre Zuneigung sah folgendermaßen aus: Sie legten schwer den Arm um einen, meistens, nachdem man ihnen ein Bier ausgegeben hatte und lallten: „Bist´n guter Kumpel. Hast was dagegen, wenn ich dir eine in die Fresse hau?“ Meistens blieb es nur bei der Frage. Ich kann bis heute nicht sagen, ob sie wussten, wie kaputt sie waren, aber ich bin sicher, sie fühlten es (trotz betäubendem Alkohol) Tag für Tag.
Wieder ein paar Jahre später lernte ich Johnny kennen, Sohn einer sogenannten „Amihure“ und eines GIs. Johnny war wegen seines amerikanischen Vaters aus Deutschland nach Vietnam eingezogen worden und hatte dort ein Jahr lang als Fallschirmjäger gedient. Nach seiner Entlassung war er wieder nach Deutschland zurückgekehrt, wo seine Mutter ihn mit dem Satz begrüßt hatte: „Dass du in Vietnam nicht hast verrecken können.“
Auch Johnny war irreparabel vom Krieg zerstört. In unserer Kleinstadt war er rasch bekannt wie ein bunter Hund. Er sammelte in kürzester Zeit siebzehn Vorstrafen, weil er im Zivilleben nicht mehr zurechtkam. Wie viele Frontsoldaten machte der Alltag ihn depressiv, und aus diesen Depressionen fand er oft nur mit Gewalt heraus. Unsere Kleinstadtpolizisten waren ihm in keinster Weise gewachsen, er hatte keinerlei Angst, verletzt zu werden oder zu sterben, im Gegenteil: Er forderte es geradezu heraus.
Doch er hatte auch eine andere Seite: Er konnte unglaublich hilfsbereit sein, sensibel, manchmal rührselig und beinahe kindlich naiv.
Aber er fand sich eben in der Welt, die ihn in den Krieg geschickt hatte, nicht mehr zurecht. Tragsicherweise bestand seine größte Sehnsucht darin, wieder in den Krieg zu ziehen, sich zum Beispiel bei der Fremdenlegion zu melden. Aber selbst dafür war er bereits zu kaputt. Und irgendwann war dann eine der Kneipenschlägereien seine letzte. Natürlich endet nicht jeder, der an der Front war, so. Aber über eines sollte sich jeder, der sich dafür meldet, im Klaren sein: Der Krieg an der Front wird, wenn nicht körperlich, so auf jeden Fall psychisch irreparable Wunden hinterlassen. Deswegen kann Krieg nur das allerletzte Mittel zur Verteidigung des eigenen Landes sein. Und all die Talkshowhelden und sogenannten Militärexpertinnen sollten erstmal wenigstens vier Wochen lang Fronteinsatz absolvieren, bevor sie weiterreden.
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