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Auschwitz ist nicht Dresden

Um es gleich vorweg zu nehmen: Hier soll nichts aufgerechnet werden. Das wäre ein Verbrechen. Was diese beiden Stationen des Infernos verbindet, ist die alleinige Verantwortung der Nationalsozialisten und, man kann es leider nicht deutlich genug sagen, eines Großteils der deutschen Bevölkerung, die diesem Regime selbst dann noch willig in den Untergang folgte, als die Tatsache des Holocausts auch für die Deutschen klar war, anhand unzähliger, eindeutiger Berichte und Beweise, nicht zuletzt durch den Geruch der Krematorien, auch wenn der erfolgreich verdrängt wurde.

Der Weg der Unmenschlichkeit war ein langer, man kann die Spuren des deutschen Antisemitismus bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Der Schock des Dreißigjährigen Krieges hat sicher über Jahrhunderte nachgewirkt und die übersteigerte Sehnsucht nach einem „sicheren" deutschen Nationalstaat geschürt, der prompt nicht demokratisch entstand, sondern von oben verordnet wurde und gleich mit der gewaltsamen Eroberung von Elsaß-Lothringen begann. Der Mechanismus, altes Unrecht gebiert neues, wurde erfolgreich fortgesetzt und führte direkt in den Ersten Weltkrieg, bei dem natürlich hinter allem nationalstaatlichen Getöse die Neuverteilung wichtiger Märkte und die kolonialistische Rohstoffausbeutung entscheidende Rollen spielten. Dann kam Versailles, die deutsche Demütigung, der Absturz in die Inflation. Nach einer kurzen Erholungsphase der vom internationalen Kapital perfekt inszenierte Börsenkrach.

Doch waren das die entscheidenden Zündfunken, die den kollektiven Wahnsinn der Rassenreligion des Nationalsozialismus zur Explosion brachten? Was konnte ein relativ gebildetes Volk wie die Deutschen dazu verleiten, den von Hitler bewusst ins Werk gesetzten „antihistorischen" Unsinn zu glauben, bei dem Judentum handele es sich nicht um Religion, sondern um Rasse? Ausgerechnet die deutsch/jüdische Elite aus Wissenschaftlern und Künstlern wurde zu Untermenschen degradiert. Das war in der Tat die größtmögliche Umwertung nicht nur aller Werte, sondern aller Vernunft, ein Aderlass übrigens, von dem sich die deutsche Kultur bis heute nicht mal im Ansatz erholt hat.

Betrachtet man das offizielle Parteiprogramm der Nazis, neben dem sich die Dogmen der katholischen Kirche - die Hitler als Vorbild dienten - wie Meisterleistungen rationalen Denkvermögens ausnehmen, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich ein Großteil der Deutschen angesichts der verzweifelten Wirtschaftslage in einen Rausch des kollektiven Wahnsinns inklusive lustvoller Selbstzerstörung hineingesteigert hatte, getreu dem Nietzschewort, wonach „der Irrsinn bei Einzelnen etwas Seltenes ist, aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel." Aber war es so einfach? Ein Wahnsinniger verführte dem Wahnsinn Zugeneigte? Nein, ganz so einfach war es nicht. Hitlers Irrsinn war mit kalter Berechnung inszeniert, die Staatssekte der Nationalsozialisten bemühte nicht umsonst sakrale Rituale, um ihren Schamanismus von Massenmord und Zerstörung zu verbreiten. Hitler selbst, auf einzigartige Weise jonglierend zwischen Wahnsinn und Kalkül, kannte und benutzte die Kräfte der Irrationalität, zunächst zur Durchsetzung seiner Ziele, und, als ihm klar war, dass er diese Ziele nicht erreichen würde, zur Durchsetzung größtmöglicher Zerstörung. Er selbst sah sich in den Gesprächen mit Rauschning als letztes personifiziertes Medium, als Vollstrecker des Schicksals, als Brennspiegel der Massen, ohne jegliche Eigenverantwortung; deswegen fiel es ihm leicht, für Katastrophen wie Stalingrad die Verantwortung zu übernehmen. Damals brauchten die Massen den Personenkult eines Führers – mittlerweile genügt die Bewegung, um sich eigenständig über moderne Medien zu verbreiten. Aber was war das für eine Bewegung, die hinter dem offiziellen Parteiprogramm der Nationalsozialisten stand? Was auffällt ist die Dualität, sowohl im Gesamtaufbau des Dritten Reiches mit untereinander konkurrierenden Ministerien, als auch innerhalb der Streitkräfte, die in die Gegenpole SS und Wehrmacht aufgeteilt waren. Es scheint, als habe Hitler sein persönliches, beinahe schizophrenes Konzept: sich selbst verachtender Kleinbürger und charismatische Führerfigur, auf sein gesamtes Staatswesen ausgeweitet. Wenn man bösartig wäre, könnte man sagen: Nur die Deutschen konnten einen durchgeknallten Kleinbürger zur Führerfigur stilisieren, aber für die deutschen Massen, befreit von jeglichem gutem Geschmack – und wie sie diese Befreiung genossen! - funktionierte es erstaunlich gut. Und auch Auschwitz war beides, Todesfabrik und Kultstätte der Vernichtung, eine Kultstätte, deren Anblick SS-Führer Himmler, Herr über eine Totenkopfarmee, kaum ertrug. Gerade die größten Verbrechen sind häufig nur in Gedanken faszinierend. Es spricht einiges dafür, dass Hitler, inspiriert von seiner dunklen Mystik, die von Ostara- Heften und Parsifal bis zum Dalai Lama reichte, dem archaischen Glauben anhing, er müsse das auserwählte Volk Gottes vernichten und die deutsche Herrenrasse an seiner Stelle inthronisieren, um die Begabung und Kraft der Juden auf die Deutschen zu übertragen. Wir wissen, dass das gründlich misslang. Natürlich ist das völlig irrational, aber gerade deswegen so gefährlich und leider aktuell – weil wir jetzt wieder Gefahr laufen, unsere Vernunft zu verlieren. Fake news, dreiste Lügen und eine auf den Kopf gestellte Wirklichkeit, das war Alltag für die Nazis und ist Alltag für heutige Regimes, die die Unverschämtheit besitzen, sich demokratisch zu nennen ja, im Namen von Basisdemokratie Abstimmungsorgien veranstalten, die immer mehr aus dem Ruder laufen. Die Steuerung und Lenkung der Massen durch Medien, führt das nicht zwangsläufig weg von der Rationalität, der Vernunft? Ist es eben doch so, dass der Mensch in der Masse, wie Nietzsche völlig zurecht angemerkt hat, zum Wahnsinn neigt? Wieso ist es sonst, nach allem was geschehen ist, wieder so einfach, in Deutschland Antisemitismus zu schüren? „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen." (Zvi Rix, amerikanischer Psychiater) Ein zutiefst wahrer Satz. Vielleicht ist die Schuld so groß, dass viele sie bewusst nicht ertragen können, sondern sich in Verdrängung, Rechtfertigung, Aggressivität, die Gnade einer späten Geburt flüchten müssen. Die Insassen von Auschwitz sind am 27.1.45 befreit worden, knapp drei Wochen, ehe Dresden bombardiert wurde. Soweit man weiß, gab es keinen direkten Zusammenhang, keinen Befehl, der wegen Auschwitz die Auslöschung Dresdens anordnete – es hätte ihn aber durchaus geben können. Und es hätte, wäre man alttestamentarischer Unbarmherzigkeit gefolgt, Auge um Auge, mit einer Massenvernichtung der deutschen Bevölkerung enden können. Das deutsche Volk hatte in Auschwitz seine Existenzberechtigung verwirkt. Der Holocaust ist eines der schlimmsten, wenn nicht das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die planmäßige, fabrikartige Vernichtung von Menschen, inklusive Auswertung bis hin zu Seife und Lampenschirmen, von einzigartiger Monströsität. Das war von Hitler so gewollt. Ein Amokläufer der Geschichte, der wusste, dass man ihn nie vergessen würde. Dresden war ein Kriegsverbrechen, dort starben ca. 25 000 Menschen, zum größten Teil unschuldige Zivilisten, Flüchtlinge, Kinder. Es bringt nichts, die Zahlen zu vergleichen, zu überlegen ob die Bombardierungen Hamburgs oder Kölns schlimmer waren, oder die von Stalingrad, wo beim ersten Luftangriff der Deutschen ca. 80 000 Menschen starben. Jeder im Bombenhagel Zerfetzte, jeder Erstickte, Verbrannte, ist ein Universum an Leiden und Schmerzen. Die Opferzahlen sind nicht das Entscheidende. Und trotz allem Leid, Schmerz und Tod, die es in Dresden unzweifelhaft gab, ist es absolut unzulässig, vom Bombenholocaust zu sprechen und damit einen Vergleich zu Auschwitz herzustellen. Wenn wir an Dresden denken, und jeder geschichtsbewusste Deutsche wird das am 13. Februar tun, sollten wir nicht vergessen: Wir Deutsche, und es ist legitim, wenn die Geschichte uns hier als Nation in Haftung nimmt, waren zuerst Täter, bevor wir Opfer wurden – dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Soldaten in Stalingrad.

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