Alte Mythen, neue Inhalte
Sucht man nach aktuellen Ergebnissen für das Wort „Mythos“, so stößt man auf Ergebnisse wie „Mythos: Fußball-Europa staunt über Bayer Leverkusen,“ „Bürgergeld-Mythos: Arbeit lohnt sich immer mehr als Nichtstun, so Studie“ oder „Deutschland: Der Mythos vom Energiewende-Versager.“ Das Wort, das früher eine sagenhafte Erzählung aus der Welt der Götter und Dämonen bezeichnete und nach einer Erklärung für die menschliche Existenz suchte, hat sich mittlerweile in die trivialsten Internet-Überschriften eingeschlichen.
Gibt es ihn dann überhaupt noch, den „Mythos“ im alten, beinahe magischen Sinne? Und wenn ja, wie kann man eine solche Geschichte im 21. Jahrhundert erzählen? Diese Fragen hat Christoph Fromm in „Thor und der Gott des Feuers“ beantwortet. Im heutigen Blogbeitrag erklärt er, wie alte Mythen in eine moderne Science-Fiction Dystopie passen und warum die alten Erzählungen auch heute noch brandaktuell sind.
Auf den ersten Blick scheint Thor nicht viel mit alten nordischen oder asiatischen und afrikanischen Mythen zu tun zu haben. Es war mir wichtig, die Mythen nicht platt, eins zu eins, zu übernehmen oder zu zitieren, sondern sie in eine dystopische Welt der Zukunft einzubetten und sie gegebenenfalls auch dieser Welt anzupassen.
Zentral wichtig war für mich das Tor der Angst, durch das Cee immer wieder geht. Cee besitzt nicht den alten Götterglauben, wonach Odin die im Kampf Gefallenen nach Walhalla holt und dort fürstlich bewirtet. Val-halla, Halle der Toten. Cee begegnet dem größtmöglichen Schrecken, der atomaren Verseuchung, indem er sich an den Todeskampf eines Familienmitglieds erinnert. Einer Familie, zu der er als vermeintliches Findelkind kam. Ein alttestamentarischer Mythos.
Cee meditiert vor dem Kampf und begegnet dabei dem Tod in vielfacher Gestalt: Verstorbenen Familienmitgliedern, erschlagenen Gegnern, und nicht zuletzt, Eve, einer walküreartigen Figur. (Val-küre). Sie schützt die Helden in der Schlacht, geleitet sie aber auch nach Walhalla, das heißt in den Tod. Das heißt, eine Walküre zu lieben, heißt auch: Den Tod zu lieben.
Das ist das Verbindungsglied zu Eve, die auf den ersten Blick nicht viel mit einer Walküre zu verbinden scheint. Sie ist Cees große Liebe, nicht trotz, sondern gerade weil er weiß: Sie wird ihn verraten, sie wird sein Untergang.
Und in der Miniatur der Liebesgeschichte zwischen Cee und Eve wird der Nibelungenmythos erzählt: Die Todessehnsucht der germanischen Krieger, die bewusst in den Untergang marschieren, nach Niflheim. Daher der Name Nibelungen. Hinter der sogenannten Nibelungentreue verbirgt sich nichts anderes als eine verschworene Gemeinschaft, die bereit ist, gemeinsam in den Tod zu gehen. Die sogar jede Möglichkeit der Rettung bewusst ausschlägt.
Hagen wirft den Fährmann ins Wasser, um zu sehen, dass die Prophezeiung stimmt: Wir werden alle sterben! Das hält aber weder ihn noch die restlichen Nibelungen davon ab, in den sicheren Untergang zu marschieren.
Das Leben in den ersten vier Jahrhunderten nach Christus muss so schrecklich gewesen sein, so sehr geprägt von Völkerwanderungen, von Krieg, Hunger, Krankheit, Untergang, dass man es nur mit dem Mut der Verzweiflung, mit dem Mut zum Untergang meistern konnte.
Nach diesem Mut sucht auch Cee immer wieder aufs Neue. Er zieht sich dabei nicht auf blinden Götterglauben zurück, er wehrt sich sogar gegen die Religion, die Zeno zur Gemeinschaft von Thor bringt. Doch er muss mitansehen, wie in dieser schrecklichen Welt die Menschen gierig nach dem Strohhalm der Religion greifen. Sie realisieren nicht, dass die Religion sie nicht frei machen, sondern unterdrücken wird, und dass es in neuen repressiven Systemen zu noch mehr Gewalt, vor allem aber zu viel mehr Unterdrückung kommen wird.
In einer Welt, in der ständig Krieg herrscht, bilden sich Mythen heraus, die den Tod verklären und im Jenseits das eigentlich lohnende ewige Leben versprechen. Und gleichzeitig werden natürlich die sogenannten kriegerischen Tugenden verklärt: Mut, Tapferkeit, Stolz, die Kampfkünste des Kriegers.
Hier sticht vor allem die asiatische Mythologie mit ihrem ZEN Glauben hervor. Das Credo des Samurai, der lieber stirbt als zu unterliegen.
In den intelligenteren Interpretationen der Nibelungensage steht die Lichtgestalt Siegfrieds für den Tod. Er, der unverwundbare, scheinbar perfekte Held ist nichts anderes als der Todesbote, der Unheil zu den Nibelungen trägt. Neid, enttäuschte Liebe, Demütigung, Zwietracht, Hass.
Und welchen tieferen Hass könnte es geben als den zwischen Hagen und Siegfried, die für mich ein germanisches Pedant zu Kain und Abel darstellen? Wer aber von den beiden ist Kain, wer Abel? Das ist längst nicht so eindeutig wie ein erster Blick vermuten lässt.
Und so spiegeln sich in meinem Roman die Halbbrüder Cee und Zeno immer wieder und sowohl ihre guten wie schlechten Eigenschaften übertragen sich von einem auf den anderen.
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