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Warum schreibe ich über Stalingrad?

Warum schreibt man heute noch ein Buch über Stalingrad?


Weil es eine der größten und erbittertsten Schlachten war, die jemals stattgefunden haben, mit über zwei Millionen Toten und Verwundeten auf beiden Seiten? Weil in Stalingrad nicht nur auf dem Schlachtfeld gestorben wurde, sondern die Soldaten vor allem in den Ruinen unversorgt bei bestialischer Kälte dahin siechten? Weil es wohl kaum apokalyptischere Bilder gibt als diejenigen, die Stalingrad hervorgebracht hat? Man denke an das Flugzeug, das beim Landeanflug die Kontrolle verlor und in die Reihen der Schwerverwundeten krachte, die man bei minus 40 Grad zum Abtransport neben das Rollfeld gelegt hatte. Oder den Soldat, der wahnsinnig vor Hunger, den Kopf eines Pferdekadavers aufschlug, um an die Hirnmasse zu gelangen. Oder die Beinamputierten, die sich nach Zusammenbruch des Kessels an Stöcken über das Eis in die Ruinen der Stadt zurück zogen, während ihnen unter der Eisfläche die Gesichter der beim Rückzug Niedergewalzten entgegen grinsten? Oder die Häuser, die man aus Leichen gebaut hatte, um Schutz vor der Kälte zu finden? Das alles war nicht der Grund, warum ich Stalingrad geschrieben habe. Was mich immer mehr in die Geschichte gezogen hat, war, dass ich beim Schreiben feststellen musste, dass auch ich unter diesen Umständen fähig zu den schlimmsten Verbrechen gewesen wäre. Dass uns weder Erziehung, noch Moral oder Religion davor schützen, in Extremsituationen die Kontrolle über uns und unser Handeln zu verlieren. Deshalb wurde zum Kern dieses Buches, dass man unter unmenschlichen Bedingungen nicht menschlich bleiben kann, auch wenn man sich noch so sehr darum bemüht. Und so machte ich die traurige Reise meiner Hauptfigur mit, vom naiven Kriegsromantiker zum verantwortungsvollen Frontoffizier, zum mutigen Deserteur, der trotzdem am Ende zum verzweifelten Zyniker verkommt, dem nichts anderes mehr übrig bleibt, als abzugleiten in Wahnsinn und Agonie. Der sadistische SD Offizier, der hinter der Front sein bestialisches Spiel treibt und dem mein junger Leutnant voller Verachtung begegnet wird zum traurigen Spiegel, in den er selbst am Ende in den Ruinen von Stalingrad blickt. Denn über allem, was die Soldaten in Stalingrad noch tun konnten, stand das Menetekel: Zu spät! Selbst diejenigen die erkannten, welch einer verbrecherischen Führung sie gedient hatten, waren rasch nur noch mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Ihre Hasstriaden gegen Hitler und die Generalität, die sie so schändlich im Stich ließen, erstarben zwischen den letzten Bissen von hart gefrorenem Brot, erstickten unter russischen Panzerketten, wurden zerfetzt von feindlichen Granaten. Die Pervertierung der Gefühls- und Gedankenwelt durch den Krieg, das ist nicht nur das Thema meines Buches, das habe ich während der Arbeit selbst erfahren und es hat mich bis in meine Träume begleitet. Man zieht nicht ohne lebenslange Folgen in den Krieg – das sollte sich jeder klarmachen, bevor er hingeht. Menschen die andere dazu verführt haben, in den Krieg zu ziehen, hat es immer gegeben. Ideologien haben dabei immer eine große Rolle gespielt – auch heute. Für viele scheint es völlig unverständlich, warum sich ein junger Mann, oder eine junge Frau, vom IS ködern lässt. Sie vergessen, wie verführerisch für jemand die Rolle des mutigen, dank Allah scheinbar unbesiegbaren Kämpfers ist, der bestenfalls mit 72 Jungfrauen im Paradies endet, wenn er zuvor ein kleines Licht ohne Perspektive in einer Gesellschaft war, deren größte Freude im uneingeschränkten Konsum besteht. Krieg ist existenziell. Er konfrontiert die Beteiligten jeden Tag mit der Frage Überleben oder Tod, Sieg oder Niederlage. Die Depression wird zunächst in den Hintergrund gedrängt. Ihr verstärktes Wiederauftreten nach kurzer Zeit, wenn die erste Faszination verflogen ist, realisieren die meisten erst, wenn es zu spät ist.

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