Das Geschäft mit der Angst
- Christoph Fromm
- vor 4 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Sönke Neitzel und Carlo Massala sind Bestsellerautoren. Der eine behauptet, der kommende Sommer sei der letzte, den wir in Frieden erleben würden, der andere malt in düstersten Farben die angeblich bereits feststehenden Pläne von Putin aus, das Baltikum anzugreifen und gegebenenfalls bis Berlin zu marschieren.
Rettung bietet angeblich nur eine gewaltige konventionelle Aufrüstung. Die beiden treffen damit einen neuralgischen Punkt. Die Angst, um nicht zu sagen, Hysterie vor „dem Russen“ ist mindestens so groß wie zu den dunkelsten Zeiten des kalten Krieges. Interessanterweise ist sie im Westen der BRD sehr viel stärker verbreitet als im Osten, wo man ja die Sowjets jahrzehntelang als Besatzer erlebt hat.
Klar ist aber auch, dass besonnene Geister wie zum Beispiel Oberst a.D. Richter oder General a.D. Vad keinerlei konkreten Hinweis auf diese angeblich bereits feststehenden Pläne Putins erkennen können.
Die nicht sehr überraschenden Erkenntnisse westlicher Geheimdienste, wonach Putin auf Kriegswirtschaft umgestellt hat und massiv aufrüstet, sind keinesfalls ein überzeugender Beweis dafür, dass er vorhat, NATO-Gebiet anzugreifen. Die Lage der Russen in der Ukraine hat sich zwar dank katastrophaler westlicher und ukrainischer Fehleinschätzungen und gescheiterter Offensiven wie Kursk im letzten Jahr enorm verbessert, ist aber nach wie vor so, dass Putin, falls es nicht zu einem Frieden durch die USA kommt, alle Kräfte mobilisieren müsste, um wenigstens sein Minimalziel, die vier Oblaste und die Krim zu erobern, wahrzumachen.
Hier liegt auch ein enormer logischer Denkfehler der beiden Autoren, die sich immerhin Militärexperten nennen und eng mit der Bundeswehr verbunden sind: Einerseits ist die russische Armee bisher zu schwach, um entscheidende Durchbrüche an der Front zu erzielen, auf der anderen Seite soll sie durch Aufrüstung in wenigen Jahren stark genug sein, um die NATO zu überrennen, und das obwohl sie durch den Krieg in der Ukraine laut Schätzungen derselben Herren bisher 300.000 bis 600.000 Mann Verluste hat.
Man sieht allein an der Bandbreite der Zahlen, wie vage und unsicher in Wirklichkeit all diese Annahmen und Spekulationen sind. Aber natürlich, nach allem, was bisher geschehen ist, kann auch niemand ein weiteres russisches Vorgehen vollkommen ausschließen. Doch selbst wenn es so käme, würde uns alleine eine konventionelle Aufrüstung ziemlich wenig nützen. Das vorsichtige Taktieren, nicht nur des Ex-Bundeskanzlers Scholz, sondern auch das der Regierung Biden hatte den Hintergrund, dass Russland immer wieder mit dem Einsatz strategischer Atomwaffen gedroht hat, falls bestimmt rote Linien überschritten würden. Man kann davon ausgehen, dass der Einsatz von Taurus eine solche Linie sein könnte.
Sicherheit, soweit man hier überhaupt von Sicherheit sprechen kann, böte angesichts der Unberechenbarkeit der USA nur eine für Gesamteuropa funktionierende nukleare Abschreckung. Über die darf angeblich in der Öffentlichkeit nicht geredet werden – wahrscheinlich, weil man sich hinter den Kulissen uneins ist, wie das funktionieren könnte und vor allem, wer diese bezahlen soll. Die Idee von Macron, dass Frankreich dabei das alleinige Sagen hat und Deutschland vor allem blecht, scheint wenig verlockend. Wenn dieses sicherlich große und auch juristisch schwierige Problem aber nicht gelöst wird, ist jede konventionelle Aufrüstung weitestgehend sinnlos.
Die nützt vor allem einheimischen Rüstungskonzernen, die natürlich im Umfeld der Bundeswehr über jede Menge Lobbyisten verfügt. Und wenn unsere kränkelnde Autoindustrie dabei jetzt auch noch mitverdienen darf, so ist das ein gigantisches Subventionsprogramm auf Kosten des Steuerzahlers. Ob all diese Waffen dann zu ähnlichen Exportschlagern werden wie früher unsere Autos, darf allerdings bezweifelt werden und dass die Grünen mit dieser Art „Wirtschaftswachstum“ keinerlei moralische Probleme haben, muss man glaube ich nicht weiter kommentieren. Ein einziger Leopard Panzer stößt übrigens an einem Tag so viele Abgase aus wie ein Diesel-Pkw in Jahren.
Dann wären auch noch die vielen jungen Menschen zu erwähnen, die unter keinen Umständen in den Krieg ziehen wollen. Ich bin kein Pazifist, aber ich finde, es ist das Recht jedes Menschen zu entscheiden, ob er sein Leben an der Front opfern will oder nicht. Pazifismus ist und bleibt eine legitime Haltung und wenn wir eine Demokratie bleiben wollen, die diesen Namen verdient, muss es weiterhin möglich sein, sich dem Kriegsdienst zu verweigern. Die Lage ist kompliziert und hochgefährlich. Sie bräuchte kluges Analysieren anstatt Ängste schürende Bestseller von Autoren, die im Ernstfall unter Garantie nicht vorne an der Front zu finden sein werden.
Auf keinen Fall sollte sich Deutschland weiter in den Krieg hineinziehen lassen, im Gegenteil: All die katastrophalen Fehler, die man im Falle der Ukraine gemacht hat, sollten Warnung genug sein, uns rigoros aus der der drohenden Auseinandersetzung zwischen den USA und China herauszuhalten. Der vielgescholtene Kanzler Schröder hatte im Irakkrieg noch den Mut dazu – ob ein Kanzler Merz diesen Mut auch hat, muss aber leider stark bezweifelt werden.
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