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Hanau - wie konnte es soweit kommen?

Aktualisiert: 30. Apr. 2021

Das wird immer wieder gefragt und ich möchte versuchen, einige Antworten zu geben.

Begonnen hat es für mich in einer Filmpremiere. Ein saturiertes, selbstgefälliges Publikum klatschte Beifall, als eine der Figuren auf der Leinwand verkündete, der Obdachlose sei „selbst schuld an seinem Elend“.

Weiter ging es mit Sprüchen wie „es gebe kein Recht auf Faulheit“, gefolgt von der Einführung des Niedriglohnsektors. In diesem Land wurde immer mehr ein Klima erzeugt, in dem es hieß, der Tüchtige habe ein Recht auf mehr Wohlstand, die anderen müsse man „fördern durch fordern“. Das Problem war nur: Nicht die Tüchtigen, nicht die Intelligenten machten Karriere in diesem Land. Zunehmend wurde Leistung durch Selbstdarstellung ersetzt, Können durch Dilettantismus. Dadurch entstand ein durchaus berechtigter Zorn, der zunehmend in Aggressivität umschlug.

Währenddessen verwandelten nicht die Tüchtigen, sondern die Raffinierten, Skrupellosen, Raffgierigen die Welt in ein Casino und plünderten sie hemmungslos aus. Es kam die Finanzkrise, von der sich Europa nie mehr wirklich erholt hat. Und dann kamen die Geflüchteten.

Immer wieder wurde das Gerücht verbreitet, es ginge den Deutschen so gut wie noch nie, aber das traf eben nur auf den Teil zu, der, meistens nicht durch ehrliche Arbeit, immer reicher wurde. Deutschland sanierte seinen Staatshaushalt durch die Niedrigzinspolitik, dadurch wurden viele kleine und mittlere Sparer um eine wichtige Zusatzeinkommensquelle gebracht, vor allem Rentner. Gleichzeitig explodierten die Börsen. Wo das noch hinführen wird, kann im Augenblick keiner sagen, aber es war noch nie so, dass Börsenkurse immer weiter ins Uferlose stiegen.

Wie unzufrieden viele Menschen in diesem Land waren und sind, wurde auch mir erst klar, als der Hass auf die Geflüchteten hochkochte. Erschreckend, wie leicht es den rechtsradikalen Sprengmeistern gemacht wurde, den Funken an die Lunte zu legen. Wieder einmal war die Propagandastrategie erfolgreich, den Unzufriedenen einen Sündenbock für all ihr Elend zu präsentieren: Den Fremden, den Ausländer!

Wieso richtete sich der Hass nicht gegen internationale Banken und Konzerne, die für die Ausplünderung der Menschen verantwortlich waren? Zum einen, weil es viel leichter ist, einen wehrlosen Fremden zu verprügeln, als sich gegen ein global agierendes Finanzsystem zur Wehr zu setzen. Zum anderen, weil in diesem Land in den letzten 30 Jahren ein Kult der Dummheit aufgerichtet wurde, der längst demokratiegefährdende Ausmaße erreicht hat. Um nicht missverstanden zu werden: Wir brauchen den öffentlichrechtlichen Rundfunk dringend für Information, Nachrichten, politische Talkshows und oft hervorragende Dokumentationen. Den Fiktion- und Showanteil brauchen wir – so wie er jetzt ist - in weiten Teilen nicht. Im Gegenteil: Es ist perfide, wenn die Leute, die innerhalb der letzten dreißig Jahre entscheidend mitverantwortlich für die Volksverdummung waren, sich jetzt hinstellen und Krokodilstränen weinen, weil die Demokratie den Bach runtergeht.

Unglaublich, wie man sich im deutschen Fernsehen im Fiktionbereich längst darauf spezialisiert hat, politische Themen völlig unpolitisch zu erzählen. Dann lasst es doch lieber gleich!

Es ist zwanzig nach zwölf in diesem Land. Höchste Zeit, dass wir einander ungeschminkt die Wahrheit sagen.

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