Judenhass
- Christoph Fromm
- 20. März
- 4 Min. Lesezeit

Anhand des hochinteressanten Buches von Daniel Goldhagen „Hitlers willige Vollstrecker“ habe ich mich noch einmal mit der Frage befasst: Wie konnte der, wie Goldhagen es nennt „wahnhafte Judenhass“ in Deutschland entstehen? Goldhagen verweist auf eine jahrhundertelange Geschichte des deutschen Antisemitismus, die bis zu Luther und weiter ins deutsche Mittelalter zurückreicht.
Für mich ist interessant, dass der in Deutschland aufkommende Antisemitismus parallel zur Zementierung des christlichen Glaubens in der deutschen Bevölkerung verläuft. Es wäre sicher zu kurz gegriffen, ihn allein auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Juden von den Christen als „Christusmörder“ diffamiert wurden, was in zweifacher Hinsicht irrational ist: Erstens war Christus selbst Jude und zweitens wurde er von den Römern ans Kreuz geschlagen. Inwieweit Jesus in der historischen Wirklichkeit ein keineswegs pazifistischer Widerstandskämpfer gegen das römische Besatzungsregime war, wie es die Qumranrollen nahelegen, spielt bei meinen weiteren Überlegungen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Ich pflichte den Historikern und Philosophen bei, die im Jesus der Bibel keine historische Figur sehen, sondern eine Erfindung der diversen Autoren des Neuen Testaments. Auch mir als Autor kommt diese Figur unwirklich vor, heute würde man sagen, wie eine Fantasy-Gestalt. Dieser Jesus ist nicht nur Gottes Sohn und wurde jungfräulich gezeugt, er kann auch selbst Wunder vollbringen und sogar vom Tod wiederauferstehen.
Er ist allerdings eine streng pazifistische Figur und der Nächstenliebe verpflichtet. Die hohen Ideale, die er in der Lebensführung einfordert, waren offensichtlich für die allermeisten Menschen unerreichbar und sie passten überhaupt nicht zu den Herrscherambitionen der gewaltbereiten germanischen Völker. So entstand eine Schizophrenie aus religiösen Idealen, die bestenfalls von ein paar Mönchen und Nonnen glaubwürdig praktiziert wurden, und dem Rest der Menschheit, der die christlichen Ideale zwar wie eine Monstranz vor sich hertrug, sie aber vor allem dazu verwendete, andere Völker, die Ungläubigen, mit brutalster Grausamkeit zu unterwerfen, versklaven und teilweise auch auszurotten, so wie die indigenen Völker Amerikas.
Es entstand rasch ein Bewusstsein von christlichen Auserwählten auf der eine Seite und Ungläubigen auf der anderen, und ebenso rasch entstand der Glaube, dass es Gottes Wille sei, die Ungläubigen, die ohnehin in die Hölle kamen – die, falls sie sich nicht missionieren ließen, Menschen zweiter Klasse oder, noch schlimmer, gar keine richtigen Menschen waren – zu eliminieren.
Angenehmer Nebeneffekt dieses religiösen Wahns war, dass man sich alle Reichtümer der Ungläubigen aneignen durfte, auch ihr Land. Die Massaker waren willkommene Anlässe, um seinen dunkelsten Trieben freien Lauf zu lassen.
Da das alles angeblich Gottes Wille war, konnte man auch die ungeheuerlichsten Verbrechen mit reinem Gewissen begehen, und wenn sich doch mal jemand schuldig fühlte, konnte er diese Schuld in der Beichte leicht wieder loswerden, ein zutiefst unehrlicher Kreislauf, der bis heute gerne praktiziert wird.
Man hört es in christlichen Kreisen ungern, aber das war die Basis, auf der im 19. Jahrhundert der Antisemitismus weiter gedeihen konnte. Wieso nun aber besonders in Deutschland? Während andere europäische Staaten wie Großbritannien und Frankreich Großmächte mit rohstoffeichen Kolonien waren, war Deutschland seit dem 30-jährigen Krieg der Verlierer in Europa. Zerstückelt, Spielball der Großmächte, ohne Kolonien mehr, fühlte man sich immer zu kurz gekommen, gedemütigt. Und für dieses Unglück musste es einen Schuldigen geben und den fand man in der kulturellen, geistigen Elite Europas, den Juden.
Geschult im Anbeten übernatürlicher Figuren wie Jesus, verwandelte man rasch „den Juden“ wie in einem dunklen Spiegel zum mythologischen Zerrbild des Bösen, „zum Dämon“, wie Richard Wagner ihn nannte. Das alles geschah noch vor Hitler, der später als Kind seiner Zeit all diese religiösen Wahnvorstellungen in seinen Wiener Jahren begierig aufnahm. Und auch er verwandelte sich sehr schnell vom erfolglosen böhmischen Gefreiten und Männerheimbewohner zur mythischen Figur „des Führers“. Er begriff rasch, dass die erneut durch Verlust des Ersten Weltkriegs und Versailles gedemütigten Deutschen geradezu nach einer religiösen Erlösung lechzten. Und so fiel es ihm relativ leicht, als „deutscher Messias“ aufzutreten, in seinen Reden die Sprache der Bibel zu verwenden und die Deutschen von einer Religion der Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe zu einer Rassereligion zu verführen, deren Inhalt aus Hass, Rache und Ausrottung bestand. Das wäre ihm sicher schwerer gefallen, wenn die Deutschen die Ideale des Christentums tatsächlich praktiziert hätten, aber, und das gilt international, es gibt wohl kaum eine Religion, bei der Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen, was bei ihren Anhängern für eine gewisse Verlogenheit sorgt.
Nach den vielen überzeugenden Belegen, die Goldhagen in seinem Buch dafür findet, dass ein Großteil der Deutschen die Judenausrottung nicht teilnahmslos, sondern mit fanatischer Grausamkeit und ohne schlechtes Gewissen ausführte, stellt sich für mich die Frage: Warum gibt man sich voller Leidenschaft einer Ideologie, ich sage, Rassereligion hin, die zum Inhalt hat, ein Volk auszurotten? Welcher Typus Mensch muss man sein, um so etwas gläubig, inbrünstig, zu vertreten? Wer „braucht“ eine solche „Religion“?
Antwort: Menschen, die unzufrieden, verzweifelt sind, die Angst vor anderen Menschen und vor der Zukunft haben. Menschen, die nicht neugierig und aufgeschlossen sind, sondern die sich aus Angst vor Nachteilen einmauern. Menschen, die unzufrieden mit ihrer sozialen Situation sind, die sich nicht respektiert fühlen. Und, ganz wichtig, Menschen, die unzufrieden sind mit sich selbst. Nur wer unglücklich ist, hat es nötig, nach einem Verursacher seines Unglücks zu suchen. Und natürlich ist es immer bequemer, die Schuld für das eigene Unvermögen nicht bei sich, sondern bei anderen zu verorten. Die Nationalsozialisten waren religiöse Fanatiker und das ist, wie wir auch heute wieder erfahren müssen, die gefährlichste Sorte Mensch, die es auf diesem Planeten gibt.
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