Lassen die existenziellen Fragen unserer Zeit die Gesellschaft verrohen?
Da sind sich alle schnell einig, und auch ich stimme zu: Der physische Angriff auf Politiker*innen und Wahlkampfhelfer ist eine Straftat und muss entsprechend geahndet werden. Aber warum erleben wir eine solche Verrohung unserer Gesellschaft?
Ich glaube, weil es um entscheidende, existenzielle Fragen geht: Krieg, Umwelt, Wohlstand, Migration – und es gibt nur ungenügende Antworten.
KRIEG
Dank einer fatalen Unterschätzung Russlands und einer noch fataleren Überschätzung der militärischen Möglichkeiten der Ukraine und der westlichen Unterstützung, befindet sich die Ukraine mittlerweile am Rande einer Niederlage – die Folgen sind schwer kalkulierbar. Möglicherweise werden jetzt tatsächlich NATO-Bodentruppen gebraucht, um wenigstens die Westukraine bis zum Dnjepr zu retten.
UMWELT
Die Transformation in eine klimaneutrale Gesellschaft wird unfassbar teuer, und ob sie überhaupt gelingen kann, ist fraglich. Jedenfalls werden die Windräder und Photovoltaikanlagen, die wir jetzt en masse in China ordern, nicht klimaneutral hergestellt - und natürlich bleiben wir weiterhin abhängig von Rohstoffen aus Diktaturen.
WOHLSTAND
Die teuren Energiepreise – es stimmt nicht, dass sie sinken, wir werden alleine für den Netzausbau Minimum 500 Milliarden bezahlen – die Abwanderung der Industrie, die Kosten für die Verteidigung, das marode Bildungssystem, die Infrastruktur, das alles wird uns in den nächsten Jahren empfindlich treffen. Und wenn wir es auf Pump finanzieren, trifft es die nächste Generation.
MIGRATION
Die Migration wird durch die weltpolitischen Krisen weiter ansteigen. Auch hier gibt es keine einfachen Lösungen, und auch hier wirkt die Politik zerstritten und hilflos.
Wir bräuchten hervorragende Leute, um diese Krisen zu bewältigen – und wir haben sie nicht. Das trägt zu Verunsicherung, zu Angst bei. Vielen ist längst klar, es geht auf einer völlig überbevölkerten Welt um die Verteilung der letzten Ressourcen. Und immer mehr Leuten schwant, dass das nicht friedlich abgehen wird. Das sind die wahren Gründe für die zunehmende Verrohung und Aggression, und möglicherweise sind das nur die Vorboten für noch viel schwerwiegendere Verwerfungen.
Was also tun? Auch in diesem Fall gibt es keine einfachen Lösungen. Natürlich ist die Politik verbesserungswürdig und auch verbesserungsfähig, aber kann sie an den grundsätzlichen Problemen wirklich etwas ändern?
Das Klimaproblem ist nur international zu lösen – was nicht heißt, dass Deutschland nichts tun soll – aber es wird zu einem massiven Ausbau der Atomenergie auf der gesamten Welt führen. Den deutschen Sonderweg wird nahezu niemand beschreiten, er ist bisher auch alles andere als erfolgversprechend.
Die aktuellen Kriege und die noch drohenden können nur durch großes diplomatisches Geschick vermieden werden und durch eine ehrlichere und fairere Aufteilung der letzten Ressourcen, zu denen vor allem auch Trinkwasser zählt.
Viel Hoffnung kann man angesichts der aktuellen Lage nicht haben, die Mächtigen dieser Welt scheinen sich für die militärische Lösung entschieden zu haben. Die Leidtragenden werden die Bevölkerungen dieser Welt sein. Hier verläuft der wahre Graben: Zwischen denen, die Macht haben und denen, die machtlos sind. Nicht zwischen Nord und Süd, nicht einmal immer zwischen arm und reich und schon gar nicht zwischen männlich und weiblich. Das sind alles nur Nebelkerzen, die vom wahren Problem ablenken.
Wir sollten unseren Regierungen und denen, die sie finanzieren, sehr genau auf die Finger schauen und nur die wählen, die zuverlässig für Frieden und Diplomatie stehen. Sonst werden wir alle eine sehr teure Rechnung bezahlen und für viele von uns wird es die letzte sein.
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