Bildungschaos
- Christoph Fromm
- 3. Juli
- 2 Min. Lesezeit

Meine Lebensgefährtin und ich haben letztes Jahr eine kreative Schreibwerkstatt mit Schülerinnen und Schülern der dritten und vierten Grundschulklasse veranstaltet. Dabei haben die Kinder mit unserer Hilfe ein eigenes Buch geschrieben - ein tolles Projekt, das allen Beteiligten viel Spaß gemacht hat. Es war für uns aber auch sehr anstrengend, vor allem, da die Fähigkeiten im Lesen und Schreiben sehr unterschiedlich waren. Wir hatten Kinder mit indischem, polnischem, rumänischem und italienischem Hintergrund, und ich will ausdrücklich betonen, diese Kinder waren überhaupt nicht das Problem, im Gegenteil: deren Lese- und Schreibkönnen war hervorragend bis durchschnittlich.
In unserem Fall gab es ein deutsches Kind, das offensichtlich unter ADHS litt und mit elf Jahren kaum lesen und überhaupt nicht schreiben konnte. Das Kind kam von einer Förderschule, für die es angeblich zu gut war, in der normalen Grundschule war es aber offensichtlich überfordert. Es lief darauf hinaus, dass meine Lebensgefährtin praktisch ausschließlich mit diesem Kind beschäftigt war, während ich mit den übrigen Kindern das Buch entwickelte. Das hat zwar ganz gut funktioniert, war aber enorm arbeitsaufwändig.
Nach Rücksprache mit der Rektorin erfuhr ich, dass die Schule Grundschulklassen mit durchschnittlich 28 Kindern hat, wovon in der Regel zwei ähnlich massive Probleme haben, wie das Kind bei uns. Das alles muss in dieser Schule eine Lehrkraft bewältigen. In ihren Worten: „Willkommen in der Wirklichkeit!“
Nach allem, was ich in der Schreibwerkstatt erlebt habe, kann ich darauf nur erwidern: Eine solche Wirklichkeit muss dringend verändert werden. Sie ist sowohl für die Kinder, die leichter lernen, untragbar als auch für diejenigen, die eine massive Lernschwäche haben. Hier muss konsequenter getrennt werden, was bedeutet, dass man mehr Lehrkräfte für Förderschule braucht. Klassen mit maximal zwanzig Kindern wären ebenfalls dringend erforderlich, wofür man mehr Lehrkräfte und mehr Geld benötigen würde.
Die Frage ist, was ist wichtiger für dieses Land: Eine massive, konventionelle Aufrüstung der Streitkräfte oder eine massive Verbesserung des Bildungssystems? Beides wird nicht zu haben sein. Es gibt aber auch einiges, was man ohne zusätzliche Mittel verbessern könnte: Zum Beispiel die Rechtschreibung. Selbst Kinder der vierten Grundschulklasse, die gut lesen und kreativ formulieren können, sind nicht in der Lage, einen einzigen Satz fehlerfrei zu schreiben. Hier hilft eben nicht, wie manche Lehrkräfte fordern, auf das Tiktok-Verhalten der Kinder einzugehen, nein, besseres Schreiben wird nur durch mehr eigenes Schreiben und Lesen erreicht. Dafür ist dringend nötig, die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder zu verlängern, ihre Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen. Und man sollte sich wieder auf das Silbenlesen und-schreiben besinnen. Die allermeisten Kinder tun sich leichter, wenn sie einzelne Silben beherrschen, die sie aneinanderreihen können.
Mein Appell: Es muss wieder verstärkt gelingen, Kinder weg vom passiven Medienkonsum zur aktiven kreativen Gestaltung von Texten zu bringen, sie für ihre eigene Kreativität zu begeistern, die bei jedem Kind vorhanden ist. Dabei können eigene Chats durchaus eine Rolle spielen, dürfen aber nur Ausgangspunkt für längere Texte sein. Dieser Weg ist steinig, schwierig, aufwändig und führt natürlich zu Auseinandersetzungen mit den Kindern. Aber wenn wir in der nächsten Generation noch Menschen haben wollen, die kompliziertere Texte nicht nur lesen und verstehen, sondern auch schreiben können, müssen wir ihn gehen.
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