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Haftbefehl

Der Deutsch-Rapper „Haftbefehl“ © dpa picture alliance / Christoph Schmidt/
Der Deutsch-Rapper „Haftbefehl“ © dpa picture alliance / Christoph Schmidt/

Auch ich habe den Dokumentarfilm über „Haftbefehl“ gesehen, einen Deutschrapper mit türkisch-kurdischen Wurzeln.

Ich fand die Dokumentation dann am interessantesten, wenn man ungeschminkt gesehen hat, was die Drogen aus Aykut Anhan gemacht haben. Und auch seine Texte finde ich dann am spannendsten, wenn man hinter den oft leeren Superlativen wie tollster Drogenhändler, tollster Fighter, tollster Stecher den verletzlichen Aykut spürt, dessen Vater Suizid begangen hat, als er vierzehn Jahre alt war.


Musiker, die auf Drogen großartige Musik gemacht haben, gab es immer: Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison sind nur einige der berühmtesten Beispiele. Und klar, jede Generation hat ihre eigene Musik und wir Älteren sind sicher nur bedingt in der Lage, darüber fair zu urteilen. Was aber doch auffällt: Die Musik beschränkt sich immer mehr auf stereotype Rhythmen und lässt so, keinen Platz mehr für Soli, wie sie zum Beispiel Jimi Hendrix noch gespielt hat. Stattdessen konzentriert sich die Musik auf die Stimme und Texte des Rappers. Das empfinde ich als Minimalismus, der sicher auch den fehlenden finanziellen Mitteln geschuldet ist, mit denen die Rapper zu Beginn ihrer Karriere konfrontiert waren.

Die Texte selbst sind von archaischer Brutalität. Man spürt in jeder Zeile, dass die Macher mit Gewalt und Drogen aufgewachsen sind und häufig ihre einzige Chance in kriminellen Aktionen sahen. Das konnte ich bereits in den 90igern beobachten, als ich ausgiebige Recherchen zum Kleinkriminellenmilieu machte. O-Ton eines Dreizehnjährigen: „Dealen ist die einzige Chance zur Zeit.“


Egal ob man dem zustimmt oder nicht, es ist das Lebensgefühl, das Jugendliche an einem Ort wie der Mainparksiedlung in Offenbach entwickeln. So offensichtlich auch Anhan: Schule abgebrochen, Lehre abgebrochen, Verhaftung wegen Drogenhandel. Daher der Künstlername „Haftbefehl“. 

Es gab für ihn nur zwei Möglichkeiten, zum schnellen Reichtum zu kommen, den „die Chabos und Chayas“ alle anstreben: Entweder die Kohle als Krimineller zu machen oder als Rapper. Haftbefehl hat Letzteres geschafft. Auf den ersten Blick wirken seine Texte ähnlich wie die der anderen Rapper: Drogen, Sex, Gewalt, ständig davon befeuert, der Allergrößte zu sein. Dahinter spürt man natürlich immer die Angst, keinen Respekt zu bekommen, immer ein Underdog zu bleiben, auch wenn man noch so viel Kohle und Koks bunkern kann. In vielen Texten wird die Primitivität des bewussten Trotzes als Tugend glorifiziert.

Was Anhan von anderen unterscheidet ist sicherlich das Trauma, das er durch den Suizid seines Vaters erlitten hat und das er immer wieder in seinen Texten verarbeitet: „Luzifer, mortifer, Morgenstern/Wenn du morgens gehst und der Himmel sich blutrot färbt/Hab‘ ich keine Sorgen mehr.“

Das ist einfach, aber das waren die Texte des Blues, die die schwarzen Sklaven gesungen haben, am Anfang auch, ebenso wie ihre Musik. Und vielleicht entsteht aus dem Rap eines Tages wieder eine Musikrichtung, in der auch wieder Platz für Virtuosität ist – so wie die Gitarristen Hendrix und Gallagher es auf ganz unterschiedliche Art mit dem Blues gemacht haben.


Natürlich sind die Drogen kein Königsweg, um bedeutsame Kunst zu machen. Der Glaube daran, dass man genial wird, wenn man sich genügend Drogen reinpfeift, ist infantil. Aber natürlich gab und gibt es viele große Künstler, die auf Drogen waren. Das Selbstzerstörerische der Droge befeuert das Selbstzerstörerische in der Kunst, denn natürlich besteht Kunst immer auch darin, Grenzen zu überschreiten; das, was man geschaffen hat, zu zerstören, um es auf eine andere Art wieder neuer, besser aufzubauen.


Deshalb zum Abschluss einige Zeilen des großen Künstlers und Lyrikers Georg Trakl, der Zeit seines Lebens alle möglichen Drogen zu sich genommen hat, den ein tragisches Inzestverhältnis mit seiner Schwester verbunden hat und der sich mit 27 Jahren das Leben genommen hat. Auf eindringliche Weise schildert er in düsteren Bildern, was ihn als Sanitäter nach der Schlacht von Grodek im Ersten Weltkrieg bewegte:

 

Grodek


Am Abend tönen die herbstlichen Wälder

Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen

Und blauen Seen, darüber die Sonne

Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht

Sterbende Krieger, die wilde Klage

Ihrer zerbrochenen Münder.

Doch stille sammelt im Weidengrund

Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt

Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;

Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen

Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,

Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;

Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.

O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre

Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,

Die ungebornen Enkel.

 

Ich finde, auf den zweiten und dritten Blick hat das durchaus etwas mit den Texten von Haftbefehl zu tun.



 
 
 

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