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Dominik Grafs Buch "Spielen und Sein"




Dominik Graf, einer der wenigen deutschen Regisseure, die über Jahrzehnte hinweg Qualitätsfernsehen und Kino gemacht haben, lässt in seinem neuen Buch „Spielen und Sein“ tief in seinen Werkzeugkasten blicken. Es geht dabei zunächst um Schauspielführung und verschiedene Techniken, aber auch darum, wie Graf sich im Lauf seiner Karriere auf unterschiedliche Schauspieler_innen eingestellt hat.

 

Im Kern jedoch geht es immer wieder, wie der Titel schon sagt, um den Unterschied zwischen Spielen und Sein. Wie erreicht man, dass der Schauspieler möglichst realistisch, heute sagen viele authentisch, seine Rolle verkörpert? Extrem interessant, wie wichtig dabei eben auch die Physis ist. Graf schreibt über Details wie Mundhaltung und das unverkrampfte Lachen. Natürlich gibt er sich nicht der Illusion hin, Film könnte Realität Eins zu Eins abbilden – das wäre auch gar nicht wünschenswert – es geht eben um die Kunst, mit dem richtigen Maß an Dramaturgie Filmrealität herzustellen und die Stilmittel, die zu Überhöhung führen, gezielt einzusetzen.

 

Dabei kommt er immer wieder auf einen deutschen Film zu sprechen, der auch für mich ein Erweckungserlebnis war: „Rocker“, von Klaus Lemke. Graf bewundert zurecht die gekonnte Arbeit mit Laien, vor allem den herausragenden Paul Lyss, der keine Schauspielausbildung hatte. Laien bringen, wenn sie begabt sind und gut geführt werden, automatisch einen Realismus in den Film, den gute Schauspieler erst mühevoll herstellen müssen. Nicht umsonst haben sich Leute wie de Niro oder Christopher Walken häufig monatelang im Milieu aufgehalten, ehe sie die entsprechenden Gangsterfiguren gespielt haben.

 

Graf schreibt auch darüber, wie junge Schauspieler_innen in der Ausbildung eine Theatralik und Überdramatik anerzogen bekommen, die man ihnen in Film und Fernsehen erst mal wieder austreiben muss. Viele junge Regisseur_innen können oder wollen das offensichtlich nicht mehr. Ich genieße den Vorzug, häufig mit Leuten, die nichts mit der Branche zu tun haben, Filme zu gucken. Die monieren bei deutschen Filmen fast immer nach kurzer Zeit, das sei „unglaubwürdig“, „gekünstelt“, „bescheuert“.

Das liegt natürlich nicht nur am Schauspiel, sondern vor allem auch an den Drehbüchern: aus sterilen, holzschnittartigen Dialogen lässt sich kein Realismus herstellen. Wenn allerdings, wie geschehen, deutsche Fernsehspielchef_innen den Regisseur zwingen, ein reales Polizeibüro vor Drehbeginn erstmal frisch streichen zu lassen, „weil im deutschen Fernsehen die deutsche Polizei nicht schmutzig aussehen darf“, dann ist alles gesagt. In vielen Fällen ist den Leuten der Realismus mit der Knute ausgetrieben worden und das Ergebnis ist leider in vielen Fällen ein steriler Dilettantismus.

 

Grafs Buch geht aber noch weit über diese Thematik hinaus. Sehr schön fand ich auch seine Reminiszenz an einen Film wie „Nachtblende“ mit einer großartigen Romy Schneider. Bei dieser Schauspielerin schimmert die private Tragik immer wieder in einzigartiger Weise auf der Leinwand durch. Und der Künstler Graf, der er natürlich in vielen Filmen auch ist, hat sich ausführlich mit dem Thema „Trash“ beschäftigt und hellsichtige Dinge über den Zusammenhang zwischen Pornografie und Kapitalismus geschrieben.

 

Ein überaus lohnenswertes Buch, nicht nur für Filmenthusiasten!

 
 
 

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