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Gesellschaftskritik und Unterhaltung

Wann wird ein Text politisch? Wie verbindet man Gesellschaftskritik mit spannender Unterhaltung?

Zwei Fragen, die mich bei meiner Arbeit immer wieder beschäftigen. Es gibt mit Sicherheit viele unterschiedliche Ansätze, Kunst zu kreieren, doch für mich war immer maßgebend: Kunst hat ein kritischer Spiegel der Gesellschaft zu sein. Will man diesem Anspruch genügen, ist die schlimmste Falle, gesellschaftliche Probleme auf billige Emotionsmuster herunterzubrechen. Zum Beispiel die zur Zeit viel zitierte Geschichte von Beate Zschäpe: Sie verliert jegliche politische Brisanz, wenn ihr Verhalten darauf reduziert wird, dass sie sich eben in Uwe Mundlos und Böhnhardt verknallt hat. Viel wichtiger wäre zu schildern, wie ein gesamtgesellschaftliches Klima sie beeinflusst hat, wie aus persönlicher Frustration, möglicherweise unterdrückter Aggression Handeln entstand, auch wenn sich diese Handlungen erstmal auf Zuhören, Mitlaufen, das Schreien von Parolen beschränkten. Wie hängen private und politische Befreiungsversuche zusammen? Welche Rolle spielt die Erhöhung, die das Individuum in der Masse erfährt? Wie wächst die Lust daran, Verantwortung in der Masse abzugeben, in ihr aufzugehen? Es ist nicht zweifelsfrei bewiesen, ob Beate Zschäpe mit beiden Uwes Sex hatte, aber diese Art der Entgrenzung, des Tabubruchs würde natürlich zu dem als Befreiung empfundenen Widerstand gegen eine Gesellschaft passen, deren Freiheitskonzept man als Unterdrückung empfindet, weil Freiheit in dieser Gesellschaft untrennbar mit dem Kapital verknüpft ist, das einem zur Verfügung steht. Besonders abstoßend am Terror der NSU ist, dass er sich nicht einmal gegen Repräsentanten eines verhassten Systems richtet, noch nicht einmal gegen Ausländer, denen man Straftaten zum Beispiel im Bereich des organisierten Verbrechens nachweisen könnte, viel schlimmer, der Terror der NSU richtet sich gegen wahllos ausgesuchte, völlig unschuldige Opfer, deren einziges „Verbrechen" darin besteht, Ausländer zu sein. Dieses Konzept ist nicht nur rassistische und dumm, es ist infantil. Es korrespondiert direkt mit den Paulchen Panther Videos, die nach den Taten gedreht wurden, und in denen die realen Opfer mit Comicfiguren gleichgesetzt werden. Das führt zu einem erschreckenden Profil: Es sind Menschen, die nie erwachsen geworden sind, die das getan haben. Die absolute Verantwortungslosigkeit und Gefühlskälte gegenüber den Opfern resultiert aus nie erwachsen gewordenen Emotionen. Dieses Phänomen ist nicht nur bei NSU Terroristen zu beobachten, die Infantilisierung dieser Gesellschaft schreitet in erschreckendem Maße fort. Man trifft immer mehr Menschen, die hochqualifiziert sind, Spezialisten in ihren Fachbereichen, deren Sozialverhalten dem verzogener, bösartiger Kinder gleicht. Diese Gesellschaft weigert sich zunehmend, sich ihren Abgründen zu stellen. Aber hinter der Fassade von Wohlstand und oberflächlichem Konsumieren wachsen die Abgründe ins Unermessliche. Die Terroristen sind Kinder dieser Gesellschaft.

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