ein Beitrag von Fred Breinersdorfer

Ich schildere eine rein fiktive Situation: Unser lieber Goethe nimmt einen Termin mit einem Produzenten und einem Redakteur einer Sendeanstalt wahr. Gegenstand ist die Verfilmung seines Werkes »Faust - Der Tragödie erster Teil«, dieses grandiose Weltkulturerbe! Der Sender setzt seit kurzem auf einen von ihm kreierten („gelabelten“) Trend zum „Neuen Klassiker“, weil laut SIEGEL klassische Werte in unserer Gesellschaft und der Familie zunehmend wieder modern werden und klassische Geschichten emotional erzählt werden können und ziemlich bekannt sind.
Johann Wolfgang, den sie kurz und sportlich Wolfi nennen, hat die erste Fassung seines Drehbuchs vorgelegt und bespricht sie mit dem Produzenten und dem Redakteur.
Der Produzent beginnt: Wolfi, klasse Buch, überhaupt kein Problem damit. Aber Du weißt, Film ist was anderes als Theater. Lass uns doch einfach noch mal einen Blick auf die Figuren werfen, bevor wir das Buch Seite für Seite durchgehen und schauen, ob wir das nicht ein bisschen besser hinkriegen. Goethe lehnt sich zurück und erwartet den Angriff. Sagt der Produzent: Wolfi, welche Geschichte willst Du eigentlich erzählen? Diese Liebesgeschichte zwischen Heinrich und Gretchen? Hat ja was. Oder die Esoteriknummer, dass da einer mit dem Teufel kämpft. Wolfi überleg Dir genau, will unser Publikum in unserer Zeit wirklich was vom Teufel hören? Ich meine vom richtigen, wahren Bösen, will das Publikum so was Düsteres? Wollen die Leute, wenn sie abends von der Arbeit kommen und die Glotze aufdrehen, was mit dem Teufel zu tun haben? Wenn du mich fragst, nein. Nur das Böse als Fake zieht. Der Mord im Krimi zum Beispiel. Unsere Zuschauer gehen heute ja noch nicht mal in die Kirche wegen dem Göttlichen oder so, und dann Mephisto abends im Wohnzimmer … nee. Esoterik ist Minderheitenprogramm. Also Wolfi, überleg Dir das mit dem Teufel gut.
Goethe widerspricht, der Redakteur springt dem Produzenten zur Seite. Wolfi, okay, es ist ja auch richtig genial, dramaturgisch gesehen, den Teufel als Gegenspieler zu haben. Gegenspieler machen einen Film hart, machen ihn interessant. Und was gibt es Genialeres als den Teufel persönlich als bad guy? Aber überleg Dir mal, ob das die Geschichte ist, die wir wirklich erzählen wollen. Produzent: Ich bin ja der letzte, der auf Quoten schielt, hab’ ich noch nie was drauf gegeben, bin ich bekannt für. Aber die Zuschauer müssen doch auch irgendwo ein bisschen eingefangen werden für das, was wir machen. Redakteur: Guck mal, in letzter Zeit zeigen unsere Quoten – also du weißt, ich guck da schon hin, aber nur gezwungenermaßen – die Quoten zeigen, dass Liebesgeschichten richtig gut gehen. Und du hast in deinem Buch eine prima Liebesgeschichte angelegt. Nimm doch einfach mal für die zweite Fassung probeweise den Mephisto raus und konzentriere Dich mal auf die Geschichte zwischen Gretchen und Heinrich.
Produzent: Ist ja rührend, wie Du das geschrieben hast, dieses Gretchen. Aber jetzt guck mal genau hin, passen die denn überhaupt zusammen; das kleine Gretchen und Heinrich? Produzent: Das Mädchen kommt vom Lande! Redakteur: Nimm mal nur so als Beispiel Julia Roberts und Hugh Grant in „Notting Hill“, da war Julia Roberts ein Weltstar! Produzent: Und du zeigst uns ein kleines naives Mädchen vom Land, vielleicht auch noch minderjährig. Goethe wendet ein, dass in Notting Hill, Hugh Grant auch nur einen kleinen Buchhändler spielt. Produzent: Aber aus London! – Apropos Heinrich, also da geh’ ich jetzt doch mal ins Buch. Da schreibst Du, es sind Deine Worte Wolfi: „Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei und Medizin studiert mit heißem Bemühen. Hier stehe ich nun – schreibst Du Wolfi – ich armer Tor und bin genauso klug als wie zuvor«. Dieser Heinrich weiß doch in deinem Drehbuch nicht, was er will! Ist das wirklich die emotionale Identifikationsfigur die unser Publikum von uns verlangt? Nee Wolfi, die Figur muss klarer sein, Heinrich muss wissen was er will. Nicht zweimal promovieren.
Redakteur: Zweimal Promovierte sind grundsätzlich Versager, guck Dir den Barschel an. Produzent: Wir brauchen eine klar emotional ausgerichtete Figur. Warum ist der Mann nicht Arzt, frage ich Dich? Chefarzt und Professor? Heinrich als Professor und Doktor, da hast Du auch zwei Titel. Redakteur: Chefarzt Professor Doktor Heinrich Faust. Das hat Niveau! Produzent: Dann graden wir Gretchen ein bisschen up. Warum soll die nicht Juristin sein statt ne kleine Landpomeranze? Redakteur: Juristen sind heute doch die wahren Gegner der Menschen. Nicht der Teufel. Hast Du schon mal prozessiert, Wolfi? Goethe erwähnt, dass er selber Jurist ist. Redakteur: Dann schreibst du das bestimmt auch total authentisch. Das bringt Quote.
Produzent (abschmeckend): Gretchen Juristin? Ja, hat was. Universitätsmilieu. Er Chef einer Uniklinik, sie Justiziarin. Redakteur (in Emphase) Sie macht ihm irgendwelche Vorschriften, dass er fürchtet, seine Patienten leiden (sich steigernd) vielleicht noch besser der Tod droht. Produzent: Nehmen wir ne Kinderklinik, Kinderklinik ist gut. Sehr emotional! Heinrich wehrt sich gegen die Vorschriften von Gretchen. Redakteur: Da hast du alles was du brauchst, Emotion, Haltung, Konflikt, Thema. Produzent: Und ganz langsam kommen sich die zwei näher und näher.
Redakteur: Je nach Besetzung siehst du sowieso gleich am Anfang: die beiden sind’s. Produzent: Love Love! Redakteur: Gretchen ist der aktivere Teil, unsere Zuschauerinnen lieben aktive Frauen, Gretchen überwindet alle Hindernisse und Schranken und beide landen am Schluss gemeinsam in der Kiste. Letzte Einstellung mit einer großen Musik. Produzent: Babababah! Redakteur: Und drei Erotikpunkte bei TV-Movie. Produzent: Das ist es. Redakteur: Heureka, sozusagen. Produzent: Wolfi, spürst du nicht selbst, dass diese Geschichte viel mehr Drive hat? Und guck mal an, die Fernsehaufzeichnung von deinem Faust ist schon seit Jahren nicht mehr wiederholt worden. Redakteur: Ist doch sonnenklar warum.
Goethe fluchtartig ab.
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