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Tag der deutschen Einheit

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Die Umfragen sprechen eine deutliche Sprache. Die meisten Bürger_innen sehen ganz klar: Hier ist nicht viel zusammengewachsen. Im Gegenteil: Die Gräben zwischen Ost und West sind tiefer geworden. Man hat es versäumt, in den Jahren, in denen es Deutschland wirtschaftlich gut ging, eine funktionierende Industrie im Osten aufzubauen und jetzt, da sich die gesamte deutsche Wirtschaft im Niedergang befindet, trifft es den Osten, der immer von Transferzahlungen aus dem Westen abhängig war, noch härter.


Viel wichtiger aber ist: Die Identität, die sich Länder wie Polen, Tschechien, Ungarn – um nur einige zu nennen – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt dadurch erarbeitet haben, dass sie selbstständige unabhängige Staaten wurden, gibt es hier nicht. Denn dieser Prozess hat in der DDR durch den Anschluss – oder: die „Einheit“ – nie stattgefunden.


Die DDR wurde annektiert und über die Treuhand ausgeplündert. Die Stadtkerne und Hauptstraßennetze wurden saniert und alles andere hat man mehr oder weniger sich selbst überlassen. Wer konnte, meistens begabte junge Frauen, haben sich gute Jobs im Westen gesucht. Nach der Wende gab es eine ganze Generation, die nicht mehr zurechtkam, deren Kinder die Hilflosigkeit der Eltern mitansehen mussten, und diese Kinder wählen jetzt zu einem erheblichen Teil AfD. Das ist nicht gut, aber erklärbar. Und jetzt, wo sich die gesamte deutsche Wirtschaft in einer sich drastisch verschärfenden Krise befindet, befürchten gerade die ostdeutschen Bürger_innen, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten ein gewisses Maß an Wohlstand erarbeitet haben, diesen Wohlstand erneut zu verlieren. Natürlich gibt es diese Ängste auch im Westen und natürlich legt auch dort die AfD massiv zu.


Interessant finde ich, dass in Ostdeutschland, wo man 35 Jahre lang unter sowjetischer Besatzung gelebt hat, die Angst vor einem russischen Überfall sehr viel geringer ist als im Westen. Genau umgekehrt verhält es sich mit den USA. Während viele im Westen noch glauben wollen, dass die USA weiterhin unser Verbündeter sind und uns im Ernstfall schützen werden, ist man da im Osten sehr viel skeptischer.


Aber der Riss geht noch tiefer: Während im Westen nach wie vor eine Mehrheit von den Vorteilen einer repräsentativen Demokratie überzeugt ist, sind im Osten die Befürworter einer direkten Demokratie, in der –  wie zum Beispiel in der Schweiz – in wichtigen Fragen eine Volksabstimmung stattfindet, sehr viel größer.

Außerdem sind viele Ostdeutschen dafür, so schnell wie möglich wieder günstiges russisches Gas zu kaufen und damit die Energiekosten auf ein wettbewerbsfähiges Maß zu senken.

Da sind schon enorme Unterschiede, und wenn man das Wort „Einheit“ nicht nur als Floskel im Mund führen würde, müsste man sich sachlich mit all diesen Fragen auseinandersetzen.

Klar ist: Deutschland als Einheit hat im Augenblick enorme Probleme und wenn sie nicht schleunigst gelöst werden, wird es möglicherweise eine „Einheit“ unter der AfD geben. Was diese bedeuten könnte, kann man gerade in den USA mitverfolgen.


 
 
 

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